Ein Stadtrundgang durch ein unbekanntes Hamburg

25.04.2018
 | 
  • Sozialeinrichtungen GmbH, 
  • Pressemeldungen
Ein Stadtrundgang der besonderen Art: Chris von Hinz & Kunzt mit den ASB Kolleginnen und Kollegen vom Bundesfreiwilligendienst  und dem Freiwilligen Sozialen Jahr.
Ein Stadtrundgang der besonderen Art: Chris von Hinz & Kunzt mit den ASB Kolleginnen und Kollegen vom Bundesfreiwilligendienst und dem Freiwilligen Sozialen Jahr. Foto ASB Hamburg / Birgitt Cordes

Die Verkäuferinnen und Verkäufer des Straßenmagazins Hinz & Kunzt gehören seit 25 Jahren zum Hamburger Stadtbild. Der ASB Hamburg besuchte Hinz & Kunzt mit den Kolleginnen und Kollegen vom Bundesfreiwilligendienst und dem Freiwilligen Sozialen Jahr zu einem Stadtrundgang, der besonderen Art.

Hamburg, 25. April 2018 – nicht die Reeperbahn, nicht der Michel und auch nicht die Alsterarkaden gibt es beim Stadtrundgang mit Chris zu sehen. Er besteht auf das Du, das ist ihm wichtig. Vor dem Eingang im Hinterhof von Hinz & Kunzt, an der Alten Twiete, begrüßen sich die Verkäuferinnen und Verkäufer, drinnen werden die Zeitungen verteilt und noch ein Kaffee getrunken, bevor es auf die Straße geht. Chris führt die Gruppe erst einmal durch einen kleinen Hinterhof, in dem die Magnolien blühen, in einen Besprechungsraum. Die rund fünfzehn jungen Frauen und Männer, die beim ASB Hamburg ihr Freiwilliges Soziales Jahr oder ihren Bundesfreiwilligendienst absolvieren, hören Chris gespannt zu. Seit 1995 ist er bei Hinz & Kunzt. „Unsere Verkaufszahlen liegen bei rund 60.000 Exemplaren im Monat und 38 Arbeitsplätze sind entstanden, wovon die meisten Mitarbeiter auf der Straße gelebt haben“, sagt Chris.

Zweimal in der Woche führt er, heute ohne seinen Partner Harald, Interessierte an Plätze, die für die Obdachlosen wichtig sind. Von der Alten Twiete geht es über den Hühnerposten rund um den Hauptbahnhof los. Chris erklärt den Unterschied von obdachlosen Menschen und denen, die keine eigene Wohnung haben. „Wer obdachlos ist, der lebt auf der Straße, der hat keine Bleibe bei Freunden oder Familie. 2000 Menschen sind davon in Hamburg betroffen. Ohne eigene Wohnung sind es noch einmal 10.500 und es werden immer mehr bei den steigenden Mietpreisen“, so Chris. Ein paar Straßen weiter stoppt Chris vor der medizinischen Notversorgung für Obdachlose, die fast versteckt zwischen zwei Gebäuden liegt. In eine Arztpraxis zu gehen, trauen sich die wenigsten, die Scham ist zu groß. Dem Team der ASB Freiwilligendienste ist es wichtig, dass die Jugendlichen, die Chance bekommen, sich mit dem Thema Armut auseinanderzusetzen. Die direkte Art von Chris motiviert auch die Jugendlichen Fragen zu stellen. Sie wollen wissen, ob man Obdachlosen Geld geben soll oder lieber etwas zu essen? Wieso er obdachlos geworden ist?

Vier Tage in seinem Leben fehlen Chris, wie er von Stuttgart nach Hamburg gekommen ist, das weiß er bis heute nicht. Filmriss. Seine Lehre als Dachdecker schmiss er, kurz vor seiner Gesellenprüfung, weil er die Demütigungen und auch die Schläge im Heim nicht mehr ausgehalten hat. Er haute ab. Sein erspartes Geld war schnell verprasst, er war schnell dem Alkohol verfallen. Drei Flaschen Wodka am Tag. Sieben Jahre lebte Chris auf der Straße, weil er sich schämte und auch zu stolz war, sich Hilfe zu holen. Sozialhilfe oder Hartz IV vom Staat, kein Thema für ihn, er ist immer alleine durchgekommen. Vor der Tagesaufenthaltsstätte „Herz As“ dreht Chris sich seine dritte Zigarette. „Hier können wir duschen, unsere Wäsche waschen und für wenig Geld eine warme Mahlzeit essen“, so Chris. Ganz alltägliche Dinge, die für Menschen, die auf der Straße leben, Luxus sind. „Es ist verdammt anstrengend, den ganzen Tag auf Achse zu sein, ständig Angst zu haben, dass der Schlafplatz abends besetzt ist, dass man verprügelt wird, beklaut wird oder etwas Schlimmeres“, erzählt Chris.

Die meisten Obdachlosen haben einen schweren Schicksalsschlag hinter sich – Krankheit, Scheidung, Verlust des Arbeitsplatzes. Ob Richter, Unternehmer, Selbstständiger oder Fußballprofi, die Verkäuferinnen und Verkäufer kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Die Wenigsten hatten ein Suchtproblem, erst durch die Obdachlosigkeit rutschen viele in die Drogensucht. Um Hinz & Kunzt zu verkaufen, machte Chris einen Entzug, lernte Ute kennen, verliebte sich und verbrachte die schönsten zehn Jahre seines Lebens. Dann kam der Krebs, den Ute nicht überlebte. Chris fiel noch einmal tief. Doch er raffte sich wieder auf und hat es geschafft, sein Leben  in den Griff zu bekommen. Die Gruppe marschiert zur letzten Station. In der Stadtbibliothek dürfen Obdachlose rein. „Es ist einer der wenigen Orte, wo man ohne Geld bezahlen zu müssen, auf die Toilette kann“, sagt Chris. Eines ist ihm noch verdammt wichtig. „Bitte kauft von eurem hart verdienten Geld keine Brötchen oder Kaffee, so manch ein Obdachloser  hat schon vier Kaffee und sechs Brötchen bekommen, wenn ihr helfen wollt, fragt, was benötigt wird. Obdachlose brauchen auch Geld.“ Die Wolken ziehen über die Dächer der Stadt und Chris macht sich auf den Weg zur nächsten Gruppe.

 

Mehr über die Möglichkeiten an einem Freiwilligendienst beim ASB Hamburg unter:
https://www.asb-hamburg.de/freiwillig-aktiv/fsj-und-bfd/