1946

Hamburg als Keimzelle des sozialen Wiederaufbaus

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Hamburg ein zentraler Ort für den organisatorischen Neuanfang sozialer Bewegungen in der britischen Besatzungszone. Bereits im November 1946 fand hier eine wichtige Konferenz ehemaliger Mitglieder des Reichsbundes – heute Sozialverband Deutschland (SoVD) – statt. Diese Versammlung markierte einen frühen Schritt zur Wiederbelebung sozialer Selbsthilfe in Deutschland. Auch der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), der im Vergleich zum SoVD langsamer wieder Fuß fasste, war in Hamburg früh aktiv. Die Hansestadt gehörte zu den ersten norddeutschen Standorten, an denen sich ASB-Kolonnen neu gründeten – gemeinsam mit Städten wie Kiel, Bremen und Neumünster.

Hamburgs Rolle ging über die reine Ortsnennung hinaus: Die Stadt diente als bedeutender Impulsgeber im Wiederaufbau sozialer Strukturen. Der frühe Wiederbeginn in Hamburg steht exemplarisch für das Engagement der Nachkriegsgesellschaft, Hilfsorganisationen neu zu formieren – trotz politischer Vorbehalte und schwieriger Bedingungen. Die Wiederbelebung in der Hansestadt war ein sichtbares Zeichen für die parteipolitische Unabhängigkeit und gesellschaftliche Notwendigkeit des ASB und vergleichbarer Verbände. So wurde Hamburg zu einem der Geburtsorte des sozialen Wiederaufbruchs im Nachkriegsdeutschland.

(Quelle: Burfeind, Marthe / Köhler, Nils / Stommer, Rainer: Der Arbeiter-Samariter-Bund und der Nationalsozialismus, Verlag Ch.Links)

1949

Der „Eiserne Heinrich“ gründet den ASB Hamburg zum zweiten Mal

Erster Nachkriegseinsatz im Spätsommer 1949 beim Fest im Tierpark Hagenbeck.

Als junger Mann von 33 Jahren war Heinrich Brauer 1907 Mitbegründer des Hamburger ASB und blieb bis zum Verbot durch die Nazis 1933 dessen 1. Vorsitzender. Gemeinsam mit Hermann Stamerjohann beschloss der mittlerweile 75-jährige Brauer nach Kriegsende, die Landesorganisation Hamburg neu aufzubauen.

Bei einer Maifeier 1949 warb ein Mann mit einem Pappschild für ein Treffen ehemaliger ASB-Mitglieder – etwa 40 Frauen und Männer folgten der Einladung, darunter viele alte Weggefährt:innen. Spontan wurde eine Wiedersehensfeier für den 21. Mai 1949 organisiert. Über 100 Hamburger:innen kamen, beschlossen die Neugründung des ASB, wählten Heinrich Brauer erneut zum Vorsitzenden und leiteten die rechtlichen Schritte ein. Anzeigen im sozialdemokratischen „Hamburger Echo“ und anderen Zeitungen sorgten für weiteren Zulauf.

Schon bald wurden neue Samariter:innen ausgebildet, und die Kolonne Bramfeld trat geschlossen aus dem Roten Kreuz aus, in das sie 1933 zwangsversetzt worden war. Neben Rettungsdiensten bot der ASB auch wieder Aufklärungsvorträge an. Am 27. Oktober 1950 sprach UKE-Mediziner Prof. Gröbe vor vollem Haus über „Geburtenregelung und Sexualhygiene“, ein brennend aktuelles Thema der Nachkriegszeit.

Der ASB Hamburg erlebte einen schnellen Aufschwung: 1950 wurden über 35.000 Dienststunden mit 5.000 Hilfeleistungen, 120 Krankentransporten sowie neun öffentliche Kursen und medizinische Vorträge verzeichnet – alle ausgebucht.

(Quelle: Von Bargen, Susanne / Fleckenstein, Knut / Grosser, Walter: 100 Jahre ASB Hamburg)

1954

Als Samariter verfolgt – und nur zögerlich entschädigt

Dr. Scholem Peisach Feldstein, 1902 geboren, war bis 1933 jüdischer Arzt und Kolonnenarzt des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) in Hamburg-Eimsbüttel. Er behandelte verletzte Kommunisten und galt den Nationalsozialisten deshalb als politisch verdächtig. Nach dem Machtantritt floh er im Mai 1933 über Litauen und Frankreich nach Palästina. 1953 kehrte er nach Hamburg zurück und stellte einen Wiedergutmachungsantrag. Seine ASB-Tätigkeit wurde als politisches Engagement anerkannt. Neben einer Entschädigung für die ermordeten Familienmitglieder erhielt er ein städtisches Darlehen von 12.000 DM zum Aufbau einer Praxis. Trotz gesundheitlicher Probleme gelang der berufliche Neustart. Eine beantragte Rente wurde nur zögerlich bewilligt – ein Beispiel für die späte Anerkennung jüdischer Verfolgter. Feldstein starb 1972 in Hamburg.

Herbert Didrichsen, 1904 in Hamburg geboren, war bis 1933 Hauptkassierer der ASB-Kolonne Hamburg und SPD-Mitglied. Nach dem ASB-Verbot wurde er überwacht, 1934 kurz inhaftiert und 1936 wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt. Noch vor Haftantritt floh er nach Dänemark, wo er mit seiner Frau unter schwierigen Bedingungen lebte. 1954 stellte er einen Entschädigungsantrag, in dem er sich auf seine ASB-Tätigkeit berief. Die Verfolgung wurde anerkannt, doch die Entscheidung zog sich über Jahre hin. Erst 1960 erhielt er 4.000 DM – eine vergleichsweise geringe Summe, die den zögerlichen Umgang mit Exilanten ohne bekannte Widerstandstätigkeit widerspiegelt.

Die Fälle von Feldstein und Didrichsen zeigen, wie Anerkennung politischer Verfolgung in Hamburg zwar möglich war – aber oft erst spät, mühsam und mit geringer Entschädigung erfolgte.

(Quelle: Burfeind, Marthe / Köhler, Nils / Stommer, Rainer: Der Arbeiter-Samariter-Bund und der Nationalsozialismus, Verlag Ch.Links)