Fachtag zum Thema: Was motiviert mich bei meiner Arbeit in der Pflege?
Die Sozialen Dienste des ASB Hamburg erleben einen emotionalen Austausch mit ihren Pflegekräften im Rahmen eines internen Fachtages.
Mangelnde Wertschätzung, der Fachkräftemangel und drei Jahre Pandemie, das alles sind Rahmenbedingungen, die dem Arbeitsmarkt in der Pflege schwer zu schaffen machen. Der ASB Hamburg als einer der größten Träger im Bereich der häuslichen Pflege in Norddeutschland hat sich im Rahmen eines Fachtages mit ca. 150 Pflege-, Betreuungs- und Hauswirtschaftskräften auf den Weg gemacht, um der Frage nachzugehen, wie den Herausforderungen in der Pflege begegnet werden kann, ohne die Lust am Job zu verlieren. Was ist es, was die Mitarbeitenden in der Pflege bei der Stange hält und nach wie vor an ihrem Job begeistert? Was motiviert jeden Einzelnen? Was wünschen sich die Kolleginnen und Kollegen in ihrem Alltag? Ist das Pflegeverständnis des ASB Hamburg noch aktuell?
Matthias Lüschen, Abteilungsleiter der Sozialen Dienste des ASB Hamburg, machte den Auftakt. Nach drei Jahren war es erstmals wieder möglich, sich in so großer Runde persönlich zu treffen. Neben der Freude über das Präsenztreffen gestand er vor den Kolleg:innen seine große Unsicherheit, was das Thema anging. „Die letzten drei Jahre haben sehr viel von uns abverlangt. Die ohnehin schon schwierige Ausgangslage in der Pflege vor der Pandemie hat sich weiter verschärft und viele sind mit ihren Kräften am Ende. In den Medien wird immer der Finger in die Wunde gelegt und im Fokus steht alles, was nicht gut läuft. Vor diesem Hintergrund heute im Rahmen unseres Fachtages Dinge wie „Motivation“, und „positive Haltung“ oder auch „Pflegeverständnis“ in unserem Beruf zu thematisieren, war für mich keine selbstverständliche Entscheidung und ich bin gespannt, wie wir heute Abend auseinandergehen“, eröffnete Matthias Lüschen die Tagung.
Die Qualitätsbeauftragte und Organisatorin des Fachtages, Sabine Hallier-Bahnsen, rief noch einmal in Erinnerung: Nachdem im Januar 2017 der gesetzliche Pflegebedürftigkeitsbegriff aktualisiert wurde und damit u.a. die Förderung der Selbstständigkeit von pflegebedürftigen Menschen an Bedeutung gewann, hat der ASB Hamburg das Pflegeverständnis der ASB-Sozialstationen sowie der Wohn-Pflege-Gemeinschaften und der Tagespflegen grundlegend überarbeitet. Sowohl die Pflegekund:innen wurden befragt als auch die Mitarbeitenden gebeten zu formulieren, was ihnen in der Pflege wichtig ist und was aus ihrer Sicht in einem Pflegeverständnis stehen sollte. In acht Abschnitten wurden dabei Werte identifiziert wie: Achtsamkeit, die Erhaltung der Gesundheit und Selbstbestimmung, die Förderung der Selbstakzeptanz, eine ganzheitliche Pflege, Professionalität und die Ablehnung jeder Form von Gewalt in der Pflege. Im Mittelpunkt des Handelns steht immer der zu pflegende Mensch mit seinen Gefühlen, seinen Wünschen, seinen Wertevorstellungen und seinen Zielen. 2022 wurde dieses Pflegeverständnis mit den aktuellen Ergebnissen der Kundenbefragung und der Reflektion in den Einrichtungen nochmals überprüft und festgestellt, dass sich die meisten Kolleginnen und Kollegen mit dem Pflegeverständnis identifizieren konnten.
An diesen Aufgaben hat sich auch 2023 nichts geändert: die Förderung von Gesundheit, Leiden zu lindern, die Selbstakzeptanz bei Abhängigkeit von Unterstützung zu stärken oder einfach zu nur helfen – das alles sind nach wie vor die wunderbaren Aufgaben und die gemeinsame Basis in der Pflege. „Ihr die Mitarbeitenden in der Pflege- Betreuung- und Hauswirtschaft nehmt diese Verantwortung in euren jeweiligen Tätigkeitsbereichen sehr ernst. Ich meine diese drei Berufsgruppen, wenn ich im Weiteren von den Pflegenden spreche, denn sie alle führen Handlungen durch, die zum individuellen Wohlbefinden und zum Genesen einer pflegebedürftigen Person beitragen. (…). Pflegende können stolz sein, denn Pflegende haben das breiteste Wissen über den zu pflegenden Menschen.Pflegende können viel zum Guten eines Menschen bewirken“, richtete sich eine emotional bewegte Sabine Hallier-Bahnsen an ihre Kolleg:innen.
„Aber: Pflegende treten bescheiden zurück und fühlen sich als „Mädchen für alles“. Sie fühlen sich häufig von der Gesellschaft nicht anerkannt und vermissen Wertschätzung. Abgewertet fühlen sie sich durch den Satz „Pflegen kann jede/r“. Dem ist aber nicht so. Pflege-, Betreuung- und die hauswirtschaftliche Versorgung ist anspruchsvoll, es bedarf u.a. eines fundierten fachlichen Wissens, menschlicher Hinwendung, Einfühlung und Umsicht. Das steht auch so im Pflegeverständnis des ASB, denn dies ist unser gemeinsamer Anspruch. Pflege kann nicht jeder“, fasste die Qualitätsbeauftragte die aktuelle Situation in der Pflege zusammen.
Und genau hier setzte die Fachreferentin Madlen Kersten, Leiterin für Fort- und Weiterbildung bei Lembke Seminare und Beratungen GmbH, an. Mit ihrem Impulsreferat „Berufsstolz in der Pflege – trotz schwieriger Umstände Freude in der Pflege empfinden“ hat sie in vielen Punkten den Zuhörer:innen direkt aus der Seele gesprochen. „Es gibt eine gesellschaftliche Nicht-Akzeptanz in unserem Beruf. Pflege wird gern als einfacher Job und wenig anspruchsvoll bezeichnet. Es ist nie die Rede von Verantwortung oder von der Wichtigkeit für unsere Gesellschaft“, stieß die Referentin auf nickende Zustimmung.
Zunehmend sei in der Pflege ein sogenanntes „Coolout-Phänomen“ zu beobachten. Coolout bezeichnet einen Schutzmechanismus in Form einer moralischen Desensibilisierung. Anders als beim Burnout macht Coolout nicht krank, es „macht – wortwörtlich – kalt“ und löst eine Gleichgültigkeit gegenüber der Situation aus, da man eh nichts ändern kann. Laut Kersten gibt es in der Pflege einen zentralen, unauflöslichen Widerspruch, mit dem sich Pflegekräfte arrangieren müssen: Einerseits patientenorientiertes Arbeiten, sich dem Menschen zuwenden und Andererseits schnelles Arbeiten aufgrund ökonomischer Zwänge. Mit Kälte könne man das mehr oder weniger widerstandslos hinnehmen.
Damit das Coolout-Phänomen in der Pflege nicht Überhand gewinnt, schlägt Kersten vor, an der eigenen Haltung zu arbeiten, nach außen zu kommunizieren und Berufsstolz zu entwickeln. „Nur wenn die Gesellschaft weiß, welche verantwortungsvolle Aufgabe und welche kleinen und großen Wunder die Pflege jeden Tag ausübt, kann auch die Gesellschaft diese zuordnen und wertschätzen“, ist Madlen Kersten überzeugt. „Wenn es zu gewalttätigen Übergriffen in einer Einrichtung kommt oder Kund:innen sich schlecht behandelt fühlen, dann ist das ein gefundenes Fressen für die Presse. Aber wurde jemals darüber berichtet, wenn erkrankte Personen drei Monate bettlägerig waren und sich nicht wundgelegen haben aufgrund der sehr guten Pflege? Wenn wir diese Wahrnehmung ändern wollen, dann müssen wir bei uns selbst anfangen. Wir müssen anerkennen, was wir tagtäglich leisten, positiv reflektieren und darüber sprechen, damit sich positive Gedanken einstellen und sich Stolz entwickeln kann“, ist der Rat an die zuhörenden Mitarbeitenden der ASB-Pflegeeinrichtungen in Hamburg.
Ganz konkret gibt Madlen Kersten folgende Handlungsempfehlungen an die Pflege:
- Sich der Situation und dem Widerspruch in der Pflege bewusst sein
- Wertschätzende Kommunikation im Team
- Wertschätzende, motivierende und kooperierende Führung
- Die Auszubildenden dahingehend sensibilisieren und ein Vorbild sein
- Politisches Engagement (aktiv sein in Kammern und Verbänden) – laut sein!
In einer abschließenden Podiumsdiskussion mit der Referentin und den ASB-Pflegekräften wurde das Gehörte nochmals reflektiert und mit Praxisbeispielen belegt. Es ging fast so etwas wie ein Ruck durch den Saal mit einer Art von Aufbruchstimmung. Anke H., Pflegedienstleitung einer ASB-Sozialstation sagte: „Berufsstolz ist enorm wichtig. Es wird immer mehr gejammert als dass man auf etwas stolz ist.“ Rolf S., Pflegefachkraft beim ASB ist sich sicher, dass vor allem die Pflegenden etwas tun müssen, um den Zustand in der Pflege zu ändern. Und Melanie B., Einsatzleitung einer ASB-Sozialstation, ist überzeugt: „Wir müssen unseren Azubis mehr Wertschätzung entgegenbringen. Die Anforderungen werden immer größer, wir müssen sie von Anfang an die Hand nehmen, um unseren Personalbestand zu sichern.
Am Ende des Fachtages war sich die Abteilungsleitung der Sozialen Dienste gewiss, mit dem Thema ins Schwarze getroffen zu haben. „Wir üben einen Beruf aus, der in unserer Gesellschaft einen ganz hohen Stellenwert verdient und auf den wir wirklich stolz sein können. Und dieser Berufsstolz war hier heute bei allen von uns ganz stark zu spüren. Und genau das sollten wir so auch nach außen tragen“, war die zentrale Botschaft von Matthias Lüschen, Abteilungsleiter Soziale Dienste des ASB Hamburg, am Ende eines gelungenen Fachtages.
Der Fachtag fand am 25. April 2023, von 13:30 bis 17:00 Uhr im Rudolf-Steiner-Haus, Mittelweg 11-12, 20148 Hamburg, statt.
In der aktuellen Ausgabe von CareKonkret ist dieser Beitrag veröffentlicht und kann hier nochmals nachgelesen werden.